Von Singapur über Chile zum Wilden Kaiser
Auf meiner Suche nach zufriedenen Menschen haben sich für mich schon viele ganz besondere Begegnungen ergeben. Dies trifft auch speziell auf das Zusammentreffen mit Corinna und Martin zu. Vor wenigen Wochen habe ich Corinna bei einer Wanderungen mit ihren Ziegen begleitet. Nach der Wanderung lerne ich ihren Lebenspartner Martin kennen, der zum Mittagessen zu uns stösst. Auf der halbstündigen Fahrt zurück zum Ziegenstall leiste ich Martin in seinem Auto Gesellschaft.

Zwischen uns gibt es neben ganz offensichtlichen Gemeinsamkeiten - wir sind beide Fotograf und haben beide einen Pickup mit Wohnkabine - auch eine andere Verbindung. Obwohl wir uns erst eine knappe Stunde kennen, führen wir ein sehr offenes Gespräch über das Leben und den Tod, mit dem wir beide schon tiefgreifende Erfahrungen gemacht habe. Ich denke in den kommenden Tagen viel über unser Gespräch nach und bin von Martin und seinem Lebensweg beeindruckt. Ich entschließe mich Martin zum Projekt einzuladen und freue mich, dass er seine Geschichte teilen möchte.

Als Sohn eines Handelsdelegierten für Österreich wird Martin in Singapur geboren. Bis zu seinem 16. Lebensjahr lebt er im Ausland, die Stationen seiner Familie sind nach Singapur, Los Angeles und Chile. Bei den ganzen Umzügen rund um die Welt gibt es zwei Konstanten: die Familie und die regelmäßigen Urlaube am Wilden Kaiser. Martin liebt es mit den Händen zu arbeiten, probiert sich in verschiedenen Ausbildungen und Berufen aus und landet trotzdem am Ende als ausgebildeter Fotograf im Bankenwesen und handelt Zinsoptionen. Nach dem Tod seiner Schwester und einem Burnout im Finanzjob kehrt er zu seinen Wurzeln zurück und macht sich als Fotograf selbstständig.


Martin's ständige Begleiter auf zwei Mal vier Pfoten sind Victor und Yukon. Man findet die beiden Hunde eigentlich immer an seiner Seite, sei es beim Sägen, Stall ausmisten oder sogar beim Gleitschirmfliegen - zumindest Yukon, dem kleineren der beiden. Ich habe es zwar nur auf einem Video auf Martin's Smartphone gesehen, ab und zu hängt er den schneeweißen Yukon an sich und fliegt mit ihm über die Bergpanoramen.


In meiner Woche auf Martin's und Corinna's Hof, begleite ich Martin an einem Morgen beim Hike & Fly. Wir wandern einen steilen Berg direkt vom Hof zur Hirschalm hoch. Die knapp 580 Höhenmetern auf zweieinhalb Kilometern sowie das Tempo, was definitiv über meinem Wohlfühltempo liegt, bringt mich an diesem Morgen an meine Grenzen. Steile Berge mit Kameras um den Hals hochzuwanden ist eine Herausforderung für mich und ich merke, dass ich als norddeutscher Flachländer immer noch Konditionsdefizite im Bezug auf Höhenmeter habe.

Martin hat vor einigen Jahren mit dem Gleitschirmfliegen angefangen, um den Tod seiner Schwester zu verarbeiten, quasi als Trauerverarbeitung. Als er an diesem Morgen Anlauf nimmt und abhebt, liegt das im goldenden Herbstlicht leuchtende Tal vor ihm, der Wilder Kaiser zu seiner Rechten. Nach knapp vier Minuten in der Luft landet er im Tal in der Nähe des Hofes, wo die Arbeit auf ihn wartet. Ich beobachte und fotografiere seinen Flug und freue mich, trotz des anstrengenden Aufstiegs, über dieses tolle Erlebnis an diesem Herbstmorgen.


Für Martin schließt sich mit Corinna und dem Hof ein Kreis. Tief in ihm verankert waren seine Kindheitserinnerungen an den Wilden Kaiser. Beide ergänzen sich auf verschiedenen Ebenen, zum Beispiel wollte Martin immer Pferde haben und Corinna Hunde. Dies wird nun für beide Realität auf dem gemeinsamen Hof. Bei einem Spaziergang mit Blick auf den Hof und den Wilden Kaiser im Hintergrund frage ich Martin wie er sich fühlt. Er sagt: "Ich bin zu Hause angekommen."